Presseinformation: Kein Geld für Radentscheid-Projekte trotz städtischer Rekordinvestitionen in Mobilität?!

Damit verschiebt Grün-Rot die Fertigstellung der Radentscheid-Projekte auf das Jahr 2175! Radentscheid München schreibt offenen Brief an die Grün-Rote-Stadtregierung.

Der Radentscheid München hat sich heute im Rahmen einer kleinen Protestaktion vor dem Münchner Rathaus entschieden dagegen gewehrt, dass weiterhin kein Geld für Radentscheid-Projekte in den Haushalt eingestellt werden soll und beklagt ein eklatantes Missverhältnis bei den geplanten Ausgaben für Mobilität. Mit einem offenen Brief an die Grün-Rote-Stadtregierung weist der Radentscheid auf diese Defizite hin.

Andreas Schön, Sprecher des Radentscheid München kommentiert verärgert: “Mit den aktuellen grün-roten Haushaltsplanungen wird die Umsetzung des Radentscheids quasi gestoppt. Statt der langjährig versprochenen 1,6 Milliarden Euro soll weiter kein Cent in den Haushalt eingestellt werden. Sichere Radwege, insbesondere für Kinder und Senioren, lassen damit weiter auf sich warten. Das ist eine Bankrott-Erklärung für Grün-Rot. Wir haben den Eindruck, dass bei der Verkehrspolitik immer mehr die Parteitaktik im Vordergrund steht, statt die Sicherheit der Radfahrenden und des Fußverkehrs.”


Offener Brief

Kein Geld für Radentscheid-Projekte trotz städtischer Rekordinvestitionen in Mobilität?! Damit verschiebt Grün-Rot die Fertigstellung der Radentscheid-Projekte auf das Jahr 2175!

Sehr geehrter Oberbürgermeister,

Sehr geehrte Fraktionsvorsitzende von Grün-Rot,

Sehr geehrte Stadtratsmitglieder von Grün-Rot!

mit Entsetzen müssen wir feststellen, dass 5 Jahre nach Beschluss des Radentscheids noch immer keine Finanzierung für die Radentscheid-Maßnahmen im Haushalt bzw. Mehrjahresinvestitionsprogramm (MIP) hinterlegt ist und anscheinend auch weiterhin nicht die Absicht besteht, hierfür angemessene Beträge in das MIP einzustellen. Und das trotz (oder wegen?) städtischer Rekord-Investitionen in Mobilität von über 3 Milliarden Euro in den nächsten Jahren. Auch wenn die städtische Haushaltslage im Gesamten sicherlich herausfordernd ist, so lässt sich dieses eklatante Missverhältnis damit nicht erklären. Denn glücklicherweise sind die städtischen Einnahmen mit 8,8 Milliarden Euro ja vergleichbar mit den letzten Jahren. Es ist also eine Frage der Prioritätensetzung.

Sicherlich stehen – bereits auf Initiative der Vorgängerregierung1 – mit der Nahmobilitätspauschale jährlich 25 Millionen Euro für Verbesserungen für den Fuß- und Radverkehr zur Verfügung. Allerdings können davon effektiv nur ca. 10 Millionen Euro jährlich für Radentscheid-Projekte eingesetzt werden, weil die restlichen Mittel anderweitig gebunden sind. Diese Gelder sind darüber hinaus bereits mit wenigen Radentscheid- Projekten bis 2029 verplant. Darüber hinaus ist die Nahmobilitätspauschale in erster Linie für kleinteilige Verbesserungen gedacht, die auf dem Verwaltungsweg erledigt werden können und für die dann kein Geld mehr zur Verfügung stehen würde. 

Mit diesen 10 Millionen Euro können – auch bei einem sparsamen Mitteleinsatz und reduzierten Standards – de facto lediglich 1-2 Straßen pro Jahr umgebaut werden. Je nach Länge und Komplexität und notwendiger Anpassungen für den Klimaschutz, auch weniger. Das ist zu wenig! Bei 10 Mio. Euro pro Jahr braucht die Stadt noch mindestens 150 Jahre für die Umsetzung des Radentscheids. Kinder, Jugendliche und Senioren, die besonders auf durchgängig sichere und baulich geschützte Radwege angewiesen sind, müssen dann noch mindestens 150 Jahre warten, bis sie davon ausgehen können, stadtweit sicher und unfallfrei zum Ziel oder nach Hause zu kommen. Das kann nicht im Interesse einer Grün-Roten-Stadtregierung sein, ist das Fahrrad doch ein besonders soziales und ökologisches Verkehrsmittel.

Sehr geehrte Damen und Herren,

gerne erinnern wir auch nochmal an die wesentlichen Ereignisse, Wahlversprechen und Vereinbarungen vor fünf Jahren:

  • 4. Juli 2019: OB Reiter nimmt die 160.000 Unterschriften der beiden Bürgerbegehren entgegen und empfiehlt dem Münchner Stadtrat, die beiden erfolgreichsten Bürgerbegehren der Stadtgeschichte zu beschließen.
  • 24. Juli 2019: Der Stadtrat beschließt mit überwältigender Mehrheit durch CSU, SPD, Grüne, ÖDP & Linke die Übernahme der beiden Bürgerbegehren.
  • November 2019: Vereinbarung von 10 Radentscheid-Maßnahmen (= Umbau von Straßen gemäß Ziel 1 des Radentscheids) pro Quartal(!) in einem Spitzengespräch mit OB Reiter2 (“Bis 2025 soll es ein lückenloses und sicheres Radwegenetz geben”).
  • Dezember 2019: Die Vollversammlung des Stadtrats beschließt die ersten Maßnahmenpakete und kündigt Investitionen in den Radverkehr von mindestens 1,6 Mrd. Euro an. Davon wurden 5 Jahre nach Beschluss lediglich ca. 70 Mio. € freigegeben.
  • Herbst 2019 / Winter 2020: Im Wahlkampf zur Kommunalwahl 2020 versprechen Grüne und SPD die Umsetzung des Radentscheids (Vgl. Wahlprogramme: Grüne, SPD)
  • Mai 2020: Koalitionsvertrag Grün-Rot: “…verwirklichen wir die Ziele des Radentscheids bis 2025”

In der Zwischenzeit wurden mit erheblichem Personal- und Ressourceneinsatz, in erheblichem Umfang auch mit Unterstützung der Münchner Zivilgesellschaft, knapp 60 Radentscheid-Projekte geplant. Ein sehr kleiner Teil davon wurde bereits zur Umsetzung beschlossen, ein weiterer Teil bereits der Öffentlichkeit und den Anwohnern vorgestellt. Die übrigen Projekte sind weitestgehend fertig geplant oder sind in den nächsten 1-2 Jahren soweit, so dass jetzt endlich, fünf Jahre nach Beschluss der beiden Bürgerbegehren, richtig mit dem Umbau losgelegt werden könnte.

Konkret ergibt sich mit den aktuellen Mitteln aus der Nahmobilitätspauschale in den nächsten 5 Jahren daher eine Finanzierungslücke von über 500 Mio Euro. Selbst wenn man hier pauschal um 30% kürzt und die Projekte streckt  – und damit deutlich stärker als in anderen Bereichen –  ergibt sich ein Finanzbedarf von ca. jährlich 70 Mio Euro. Damit sollten sich dann jährlich immerhin ca. 10 Projekte finanzieren und bauen lassen, was jährlich einem Viertel der mit dem Oberbürgermeister vereinbarten und vom Stadtrat beschlossenen Zahl an Projekten entspricht (s.o.)

Gerne erinnern wir in aller Kürze nochmal an die Vorteile dieser Projekte für die Münchner:

  • Durch einen regelkonformen Umbau lassen sich die Unfallzahlen halbieren, sowohl Unfälle mit LKW/Kfz als auch Alleinunfälle. Ähnliches wurde aktuell durch die UDV3 bundesweit festgestellt: “Gut jeder dritte Alleinunfall geht […] auch auf das Konto mangelhafter Infrastruktur” zurück (Unfallgegner “Infrastruktur”). 
  • Radverkehr ist nach dem Fußverkehr die günstige Form der Mobilität, mit vergleichsweise geringen Investionskosten und schnell realisierbarem Nutzen.
  • Mit einem konsequenten Ausbau der Radinfrastruktur lässt sich der Radverkehrsanteil bei Wegen bis 30km auf durchschnittlich 45% steigern. (Vgl. Fraunhofer-Studie4)
  • Investitionen in den Radverkehr sind immer auch Investitionen in den ÖPNV, weil Verlagerungen auf das Rad diesen entlasten.
  • Verbesserung für Fußgänger, Klimaschutz und Aufenthaltsqualität

Bitte nehmen Sie die Bedürfnisse der vielen Menschen ernst, die tagtäglich mit dem Fahrrad unterwegs sind und denen, die gerne mehr mit dem Fahrrad fahren würden, das aber aufgrund unzureichender Infrastruktur nicht tun. Bitte sorgen Sie für eine ausreichende Finanzierung der Radentscheid-Projekte, damit diese – wie versprochen – umgesetzt werden können. Nachdem der Ausbau der Radinfrastruktur ein Kernthema im letzten Wahlkampf war, wurden Sie auch dafür gewählt!

Wir freuen uns über Ihre Rückmeldung und stehen selbstverständlich weiterhin für einen Dialog bereit. 

Im Namen des Radentscheid-München,

Andreas Schön & Katharina Horn

  1. https://risi.muenchen.de/risi/antrag/detail/5339149 ↩︎
  2. https://www.sueddeutsche.de/muenchen/muenchen-verkehr-fahrrad-radwege-netz-2025-1.4690139 ↩︎
  3. https://www.udv.de/udv/presse/jeder-dritte-toedliche-radunfall-bei-stuerzen-ohne-unfallgegner-groesste-gefahr-im-winter–184464 ↩︎
  4. https://www.isi.fraunhofer.de/de/blog/2024/adfc-radverkehrsanteil-potenzialabschaetzungen.html ↩︎